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Ich habe mir angewöhnt, jeden Abend beim Einschlafen an die positiven Dinge des Tages zu denken und so jedem Tag etwas Lebenswertes zu geben. Manchmal ist das schwierig, manchmal überhaupt nicht. So wie heute. Heute war ein richtig guter Tag!
Am Morgen musste ich in's Spital zur Blutkontrolle. Eigentlich wollten wir mit der Tabletten-Chemo anfangen, leider sind meine Granulozyten (bestimmte weisse Blutkörperchen) noch nicht hoch genug und wir müssen das Ganze auf nächste Woche verschieben. Halb so schlimm, meinte der Arzt. Dafür hatte er für mich noch richtig gute Nachrichten parat: Die meisten Resultate der letzten Knochenmark-Punktion sind rausgekommen und ich bin immer noch LEUKÄMIE-FREI!!! Geil. Mir ist ein riesen Stein vom Herzen gefallen. Am Nachmittag hatte ich dann ein weiteres Foto-Shooting für ein noch geheimes Projekt (mehr gibt's im Juni natürlich hier). Jedenfalls war es super, mit meiner zwar noch kleinen, aber feinen Haarpracht ein paar Fotos zu schiessen. Einen richtig guten Run hatte ich dann am Abend. Nachdem meine sportliche Kondition in letzter Zeit von Tag zu Tag besser wurde (die roten Blutkörperchen wachsen im Gegensatz zu den Weissen wie verrückt), wolle ich heute mal ausprobieren, ob ich meine alte Laufroute (ca. 9 Kilometer) wieder schaffe. Und tatsächlich: I did it! Erst noch in einer recht anständigen Zeit. Jetzt tun mir zwar die Beine weh, aber ich fühle mich fast wie Forrest Gump. Einen Bart habe ich allerdings noch keinen, aber der wächst mir ja vielleicht am Auffahrtslauf. Ich bin bereit! Für den Auffahrtslauf, nicht den Bart. Ich habe mich schon lange nicht mehr zu Wort gemeldet. Das liegt daran, dass mein Leben in den letzten drei Wochen wieder ziemlich normal geworden ist. Ich arbeite wieder, treffe oft Freunde, gehe aus, mache Sport, freue mich auf unseren Umzug in eine tolle Wohnung. Der Alltag hat mich wieder. Das Leben hat mich wieder. Es ist wunderschön. Obwohl manchmal mein Kopf etwas hinterherhinkt und ich das alles noch gar nicht richtig glauben kann. Ich traue der ganzen Sache einfach noch nicht ganz. Weil die Gewissheit, dass ich es vorerst geschafft habe, bekomme ich erst nach der nächsten Knochenmarkpunktion. Und die ist morgen.
Habe ich wirklich keine Leukämie mehr? Manchmal verdränge ich den Gedanken erfolgreich, geniesse eben das Leben und manchmal frisst er mich fast auf. Und in den nächsten zwei Wochen wird es noch schlimmer werden. Denn so lange geht es, bis die Proben des Knochenmarks untersucht wurden. Ich habe ehrlich gesagt, richtig Angst. Auf der anderen Seite weiss ich, ich habe es geschafft! Ich wollte es so sehr, dann wird es auch so sein! Es geht mir doch so gut, mein Körper funktioniert wieder. Und dann kommt wieder die Angst. Manchmal weiss ich kaum noch, was ich denken soll... Jedenfalls habe ich morgen, nebst der Knochenmarkpunktion, noch ein Standortgespräch mit einem Oberarzt und der kann mir dann hoffentlich auch ein bisschen Angst nehmen. 7 Monate. Immer wieder. Gift in meinem Körper. 7 Monate Chemotherapie und gestern war der letzte Tag. Der Weg dahin war lang, schwer und im Nachhinein doch irgendwie schnell vergangen. Unfassbar. Und gestern bin ich am Ziel angekommen. Die letzte Chemo per Infusion. Das letzte Mal stationär im Spital. Ich kann es irgendwie noch gar nicht fassen. Will es nicht glauben. Spüre es noch gar nicht richtig, vielleicht auch weil mir heute Morgen noch ein bisschen schlecht ist davon. Habe ich es wirklich geschafft? Ja habe ich!
Natürlich ist die ganze Behandlung mit diesem Schritt noch nicht abgeschlossen. Zuerst muss sich mein Blut jetzt wieder vollständig erholen, dann kann mit der Tabletten-Therapie begonnen werden. Die dauert sicher nochmals ein Jahr. Davor wird mein Knochenmark nochmals punktiert, um zu sehen, ob die Leukämie immer noch verschwunden ist. Und einige intrathekale Chemos (Spritze direkt in's Nervenwasser im Rücken) kommen auch noch auf mich zu. Also vorbei ist noch nichts, aber es wird jetzt um einiges leichter. Manchmal muss man seinem Körper "danke" sagen. Zum Beispiel meiner Leber, nach vier Tagen Festival. Oder meiner Lunge, dass sie meine über zehnjährige Raucherkarriere unbeschadet überstanden hat. Oder meinen Ohren, dass sie trotz täglichem Kopfhörergebrauch immer noch 100% funktionieren. Und in dieser Woche bin ich meinen beiden Nieren besonders dankbar. Denn was sie durchmachen müssen, ist nicht ohne. Ich bekam am Mittwoch zum dritten (und letzten) Mal wohl die unbeliebteste Chemo der ganzen Therapie: Methotrexat (kurz MTX). Eine giftig-gelbe, hochdosierte Flüssigkeit in einem prall-gefüllten Sack, welche innerhalb 24 Stunden in meinen Körper läuft und möglichst schnell wieder ausgeschieden werden muss. Denn die grösste Gefahr beim MTX ist, dass sich das Medikament in den Nieren kristallisiert und sie so für immer schädigt. Deshalb muss ich jetzt vor allem viel, ganz viel trinken und jedes Mal beim "Brünzeln" den pH-Wert im Urin messen. Ist der Wert zu tief, muss ich sofort ein Medikament nehmen, denn der Urin darf auf keinen Fall säuerlich werden. Ein ziemlicher Aufwand. Normalerweise müsste man das ganze Prozedere im Spital abhandeln, aber ich bin mal wieder an dem Punkt, an welchem jede Stunde im Krankenbett eine zu viel ist und deshalb habe ich es geschafft, dass ich seit gestern auch zu Hause meinen Urin messen darf. Voilà. Ich bin richtig froh darüber und nicht nur mein Urin wird nicht sauer, sondern auch ich nicht! Kein Schwangerschaftstest, sondern mein Begleiter um den pH-Wert des Urins zu messen. So, mittlerweile weiss ich, wieso meine Kondition so schlecht ist: Die roten Blutkörperchen sind schuld!
Eine Chemo soll ja die weissen Blutkörperchen (Immunabwehr) zerstören, sie sind schliesslich auch von der lymphatischen Leukämie betroffen. Leider zerstört die Therapie aber auch die roten Blutkörperchen und die Blutplättchen mit. Und diese Werte sind wegen der Chemo letzte Woche, bei mir nun so richtig schön in den Keller gesunken. Die roten Blutkörperchen sind für den Sauerstofftransport im Blut zuständig, deshalb leidet bei einem schlechten Wert auch meine Kondition, weil zu wenig Sauerstoff in den Muskeln ankommt. Auch habe ich den Sauerstoffmangel dieses Mal mit fiesen Kopfschmerzen gespürt. Mein Hirni war also in den letzten Tagen ein bisschen unterversorgt :-). Ebenfalls sind auch meine Blutplättchen bedrohlich tief gesunken. Heute Morgen musste ich nach der Frühschicht zur Blutbildkontrolle in's Spital und da hatte ich nur noch einen Wert von 5 (der Normalwert liegt zwischen 150 und 300). Spüren tut man diesen Blutplättchenmangel eigentlich nicht, aber er ist unheimlich gefährlich. Da die Plättchen für die Blutgerinnung bei Verletzungen wichtig sind, können schlimme innere und äussere Blutungen entstehen. Ich habe zum Beispiel an meinen Beinen lauter rote Punkte und blaue Flecken. Natürlich habe ich heute im Spital dann sofort eine Bluttplättchen-Transfusion bekommen, leider ist der Wert aber nur auf 8 angestiegen und so ist bis morgen für mich absolute Ruhe angesagt. Ich werde mir mein Essen heute Abend wohl nicht mit dem grossen Messer zubereiten :-).... Zusätzlich habe ich heute auch noch einen Beutel Blut bekommen, damit sich ferner die roten Blutkörperchen langsam wieder erholen können. Also an alle unter euch, welche Blut oder Blutplättchen spenden: DANKE! Ich bin auf diese Spenden echt angewiesen und sie retten mir unter Umständen mein Leben. Ich hoffe aber auch, dass mein Knochenmark sich bald erholt und selber wieder in Blut-Produktion geht. Der März ist ein toller Monat. Es wird wieder wärmer, die Frühlingsgefühle flammen auf und sowieso ist da ganz viel Licht am Ende des Tunnels in Sicht. Ich habe diesen Monat die letzten drei Chemo-Sessions, welche ich per Infusion erhalte. Die Erste habe ich diese Woche schon überstanden, fast unbeschadet, in Anbetracht dessen, was sie mir da wieder reingejasst haben. Es geht also stetig aufwärts und ich freue mich, dass ich nur noch ein oder zwei Mal für mehrere Tage in's Spital muss. Und sowieso bin ich absolut bereit für den Alltag. Nur mein Körper hinkt noch ein bisschen hinterher. Von meiner Fitness und Kondition, welche ich Anfang Jahr noch hatte, ist nach der derben Chemo-Phase im Februar leider nicht mehr viel übrig. Ich mag nur wenig körperliche Leistung bringen und werde wieder schnell müde.
Aber die Zeit läuft, in zwei Monaten ist der Auffahrtslauf. Mein grosses sportliches Ziel in diesem Jahr. 10 Kilometer will ich da schaffen. Und das bitte ohne Zunge am Boden. Heute ging ich deshalb das erste Mal wieder joggen. Ein bisschen enttäuscht kam ich dann wieder zurück, weil das Ergebnis - ja sagen wir's mal so: Da ist noch Luft nach oben :-). Aber ich werde dranbleiben, mein sturer Kopf hat in den letzten Monaten schon den Krebs besiegt, jetzt wird er wohl auch mit den 10 Kilometern fertig! Ich habe keine Leukämie mehr. Schon seit Oktober wurden in meinem Knochenmark keine bösartigen Zellen mehr gefunden. Ich bin in Remission, wie das im Fachchinesischen heisst. Eigentlich müsste ich mich freuen, vor allem wenn man bedenkt, dass ich auch nur noch drei kleine Chemo-Sessions vor mir habe, danach geht die Erhaltungstherapie mit Tabletten los. Hallo Alltag, ich komme! Ganz so euphorisch bin ich aber irgendwie nicht, die Angst sitzt mir im Nacken. Die Angst vor einem Rezidiv, die Angst vor einem Rückfall. Ich kann manchmal gar nicht glauben, dass ich das Ganze überstanden habe. Was wenn die Leukämie wiederkommt? Was wenn nochmals alles von vorne losgeht?
Bei der letzten Knochenmarkpunktion kam zwar raus, dass eben keine Leukämiezellen an sich gefunden wurden, aaaaaaber - und jetzt kommt ein ganz geiler Satz, welcher so in meinem Krankenbericht steht: "Histologisch und immunhistochemisch zeigt sich eine geringe T-Zellinfiltration, welche zum Teil CD99 und CD10 exprimiert (geschätzt unter 1% der hämatologischen Zellen), DD: minimale Knochenmarksinfiltration durch die bekannte T-ALL." Zuerst denkt man da: Häää? Dank Dr. Google weiss ich jetzt aber auch, was der Satz in etwa bedeutet: Da sind Vorläuferzellen entdeckt worden, welche sich zu bösen T-Zellen (die weissen Blutkörperchen, welche bei mir entartet waren) entwickeln könnten. Könnten! Auch die Ärzte haben gesagt, dass müsse überhaupt nichts heissen und sowieso hätte ich in der Zwischenzeit ja die aggressive Chemo gehabt. Das bedeutet nur Gutes - eigentlich, aber eben manchmal beim Einschlafen denk ich mir dann doch: Was wäre wenn? Ich habe mir deshalb heute ein Kupferarmreif gekauft. Kupfer soll sich heilend auf das Blut auswirken und das Immunsystem stärken. Ja ich weiss, dass tönt für einige jetzt nach Hokuspokus, aber wie sagt man so schön: "Nözts nüz, schadts nüz!" Und irgendwie muss ich die nächsten fünf Jahre damit leben, dass die Leukämie zurückkommen könnte, denn so lange dauert es, bis ich als vollständig geheilt gelte. Fünf Jahre sind eine lange Zeit und wahrscheinlich habe ich den Rest meines Lebens Angst vor blauen Flecken und Fieber, aber durch dieses kleine Angstteufelchen im Hinterkopf wird man wenigstens daran erinnert, verdammt nochmal das Leben in vollen Zügen zu geniessen! Ein schöner Sommertag im August. Heute vor einem halben Jahr. Es war Freitag, ich war müde von der Frühschicht - und mir war extrem schwindelig. Deshalb ging ich in's Spital. Und Stunden später die Diagnose: "Sie haben akute, lymphatische Leukämie!" Bäm. Und jetzt sechs Monate später? Bin ich ein anderer Mensch. Ein Mensch, der einiges durchgemacht hat. Ein Mensch, der viel Schlimmes über sich ergehen lassen musste. Aber wie schon Kelly Clarkson prophezeit hat: What doesn't kill you, makes you stronger! Ich habe meinen Frieden mit der Krankheit geschlossen. Wir leben jetzt zusammen. Und leben ist so schön.
Was ich heute auch ein bisschen feiern kann: Ich bin ebenfalls seit einem halben Jahr Nichtraucherin! Die letzte Zigi habe ich nämlich an besagtem Freitag an der Bushaltestelle vor dem Kantonsspital geraucht, danach habe ich nie mehr eine angefasst. Irgendwie habe ich auch überhaupt keine Lust mehr darauf. Und das überrascht mich echt, sogar Alkohol oder Essen verleitet mich nicht mehr dazu. Ich bin wirklich froh, habe ich das in meinem Leben noch geschafft. Obwohl ich früher sehr gerne geraucht habe, bin ich jetzt sogar ein bisschen zum Raucher-Nazi geworden :-). Immer wenn ich jemanden mit einer Zigi sehe, denke ich: Wie kann man nur? Und allen erzähle ich wie toll es ist, wenn man nicht raucht, wie viel Geld man spart und sowieso wie super gesund es ist. Früher hätte ich mich selber wohl recht doof gefunden, aber mein Leben riskier ich für eine sinnlose Sucht einfach nicht mehr. Für das ist es mir viel zu wertvoll! Zurzeit habe ich in meinem Leben genau zwei Grundbedürfnisse: viel schlafen und viel essen! Ich fühle mich deshalb schon fast ein bisschen wie eine Katze, auch weil die Haare wieder vermehrt ausgehen :-) - Winterfell ablegen und so, miau! Jedenfalls bin jetzt bei Tag 19 des aktuellen Chemo-Abschnitts, das heisst, mir wurde schon wieder ordentlich Zeugs reingepumpt und um all das zu verarbeiten, braucht mein Körper extrem viel Energie. Deshalb habe ich entweder Hunger oder bin müde. Da gibt's auch irgendwie kein Rauskommen mehr. Meistens hilft bei mir gegen die Chemo-Müdigkeit ja Bewegung, aber letzte Woche habe ich im Fitness gerade mal eine Viertelstunde durchgehalten, danach war ich fix und fertig. Also muss ich es wohl akzeptieren, dass mein Körper die Ruhe und den Schlaf einfach auch braucht. Mich zu überfordern wäre jetzt genau das Falsche. Ja und wenn ich dann mal nicht schlafe oder mich mit Netflix (meine neue Religion) beschäftige, dann esse ich viel. Auch das ist ein wichtiger Energie-Lieferant. Ich lasse es mir wirklich ordentlich schmecken, mehrmals am Tag mit deftigen Bauarbeiter-Portionen. Und weil ich ja die Therapie ambulant mache, kann ich entscheiden, was und wann und wie viel ich essen will. Ich geniesse es also auch ein bisschen, obwohl ich es schon beängstigend finde, dass ich trotz allem wieder an Gewicht verliere. Darum: Was mein Körper gerade leistet ist unglaublich und ich bin unglaublich dankbar, dass er das alles ohne grössere Komplikationen mitmacht! Hier eine meiner kleinen Zwischenmahlzeiten: Kichererbsensuppe mit Gemüse und Biowienerli...fein! Das daneben ist übrigens KEIN Bier, leider, sondern nur Rivella im Bier-Glas für's Feeling :-), Alkohol wäre im Moment auch recht kontraproduktiv. |
AutorRosie. 30 Jahre. Mitten im Leben. Diagnose: Leukämie. Archives
January 2020
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