Dieses Wochenende wird hart. So hart, wie kein anderes Wochenende in den ganzen hundert Tagen. Es ist Openair St. Gallen. Und ich darf nicht in's Sittertobel! Zu gross ist die Gefahr, dass ich mir da unten was einfange. Sei es in der Menschenmasse, auf den dreckigen Toiletten, im verpissten Schlamm oder irgendwo an einem Essensstand. Ich habe mir ja schliesslich auch schon ohne supprimiertes Immunsystem "de Chotze ond de Schisse" am Openair geholt. Ebenso bin ich mir auch nicht ganz sicher, ob ich vier Tage feiern überhaupt durchgehalten hätte. Also sein lassen. Ich habe mich dafür freiwillig zum Arbeiten über's Wochenende gemeldet. In der Stadt ist sowieso nichts los und so habe ich am Radio ein bisschen Openair-Feeling. Aber es tut schon weh! Vor allem als ich gestern die ersten Leute mit Zelt und Pet-Bier bewaffnet, in der Stadt sah. Wie gerne würde ich bierbeseelt durch den Schlamm waten, tolle Bands gucken, im Regen tanzen, mit Freunden im Stroh sitzen und "domm schnorre". Eine Freude wäre es... In diesem Moment wurde ich dann auch ein bisschen hässig auf die ganze Situation. Obwohl alles super läuft, bin ich eingeschränkt. Der Kopf wäre sofort dabei, aber der Körper ist noch nicht ganz soweit. Aber - und jetzt kommt der grosse Trost: In drei Wochen ist es geschafft! Und der Festival-Sommer ist ja noch lang. Und ein Openair St. Gallen gibt es auch nächstes Jahr wieder.
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Heute Morgen hat mich mein neues Immunsystem fast wahnsinnig gemacht. Am ganzen Körper hatte ich "Büggeli", welche unheimlich gejuckt haben. Von der einen Stunde auf die andere, überall waren sie und ich wusste: Ich darf auf keinen Fall kratzen, sonst entzündet sich das Ganze noch. Doch was ist das für ein Ausschlag?
"Graft-versus-Host-Disease" nennt sich das, auf deutsch "Transplantat-gegen-Wirt-Krankheit". Die Immunzellen (die T-Lymphozyten) des Spenders greifen meinen Körper an, weil sie einige Gewebemerkmale von mir als "fremd" einstufen und diese dann auch vernichten wollen. Überhaupt nicht nett, aber auch gut. Einerseits. Denn so zeigt sich, dass das neue Immunsystem funktioniert und arbeitet. Andererseits hat man halt Beschwerden mit dem Darm, der Leber oder wie in meinem Fall, mit der Haut. Die neuen Immunzellen müssen also zuerst meinen Köper näher kennenlernen, das passiert jetzt eben in den ersten hundert Tagen nach der Transplantation. Wenn alles gut geht. Eine "Graft-versus-Host-Disease" kann auch chronisch verlaufen und die nächsten Jahre oder das ganze Leben andauern. Mit Medikamenten hat man die GvHD aber unter Kontrolle. Bei mir hilft meistens eine Kortisonsalbe. Die ist zwar fettig und klebrig, aber sehr effektiv. Und wenn das auch nichts nützt, habe ich immer noch ein starkes Antiallergikum in petto. Also alles immer noch im erträglichen Rahmen. Und so hoffe ich jetzt einfach, dass mein neues Immunsystem und mein Körper doch noch dicke Freunde werden. 13. Juni 2017. 7:10 Uhr. Mein Wecker klingelt. Ich wache auf. Yeah. Geburtstag. 30 Jahre. Ich freue mich, den ich liebe meinen Geburtstag. Und in dem Moment wird mir bewusst: Es ist nicht selbstverständlich, dass ich meinen 30. Geburtstag erlebe. Überhaupt nicht. Diesen Geburtstag habe ich vielen Ärzte/innen, PflegerInnnen, der Medizin allgemein, meinem Umfeld und dem Umstand zu verdanken, dass ich vor 30 Jahren im richtigen Land auf die Welt gekommen bin.
Mir kullern ein paar Tränen über die Wange. Tränen der Freude. Denn ich spüre ich bin gesund, ich habe wieder Energie, noch nicht so viel wie früher, aber sie ist da. Ich habe ein tolles Leben. Es passt alles. Ich habe viel erreicht und noch viele Träume. Ich bin glücklich! Ich stehe auf, mache mir einen Kaffee, dusche, starte in einen wunderschönen, sonnigen Tag, in ein neues Lebensjahr und erfülle meine Träume! Tag 50. Die Hälfte der hundert heiklen Tage ist überstanden. Seit 50 Tagen lebe ich jetzt mit den Stammzellen meines Spenders. Und das ziemlich gut. Meine Blutwerte sind wieder im normalen Bereich und auch sonst geht es mir von Tag zu Tag besser. Ich kann sogar schon wieder arbeiten. Obwohl - das habe ich ja schon im Spital ein bisschen gemacht. Da hatte ich nämlich die Idee, dass ich doch am Radio eine Registrierungsaktion für die Stammzellendatenbank machen könnte. Konzept war schnell geschrieben, Chefetage hat es gutgeheissen und letzte Woche konnte ich das Projekt "FM1 macht eu zu Lebensretter" umsetzen.
Einen ganzen Tag lang haben wir über das Thema Stammzellentransplantation informiert. Ich habe mit Ärzten und Betroffenen geredet, Hörerinnen und Hörer haben sich gemeldet und natürlich habe ich auch ein bisschen von mir erzählt. Und das Beste: Wir konnten gemäss Blutspende SRK Schweiz mit der Aktion 238 Menschen für eine Registrierung motivieren. So viele wie noch fast nie an einem einzigen Tag. Über das Wochenende kamen dann nochmals rund hundert Personen dazu. Ein Riesenerfolg und ich bin echt stolz, konnte ich das auf die Beine stellen. Ich werde mich aber auch in Zukunft für mehr LebensretterInnen und weniger Leukämie einsetzen! Hier findet ihr die Online-Artikel zu "FM1 macht eu zu Lebensretter!" |
AutorRosie. 30 Jahre. Mitten im Leben. Diagnose: Leukämie. Archives
January 2020
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