Die drei grossen Lügen im Spital:
1. "Ich mach das nicht zum ersten Mal!" 2. "Ich komme gleich!" 3. "Und es tut bestimmt nicht weh!" Es tut bestimmt nicht weh. Genau. Das wissen Ärzte so gut, weil sie ja alle Behandlungen auch schon ausnahmslos an ihrem eigenen Leib ausprobiert haben. Nein im Ernst: Es tut bestimmt nicht weh - und dann wird's so richtig schmerzhaft. Am Anfang meiner Spitalzeit machten mir Infusionenstechen, verschiedene Punktionen in den Rücken oder ab und zu mal Kopfschmerzen überhaupt nichts aus. Mittlerweile ist jede Art von Schmerz der absolute Horror für mich. Ich habe in den letzten Monaten so viele Schmerzen gehabt, dass ich eine unglaubliche Überempfindlichkeit entwickelt habe. Die Ärzte wundern sich sicher, da liegt eine mehrfach tätowierte Frau auf dem Behandlungstisch und die macht einen solchen Aufstand wegen einer Nadel. Ja macht sie. Weil ich Panik vor Schmerzen habe. Vielleicht ein kleines Beispiel aus dieser Woche. Gestern habe ich erfahren, dass mal wieder eine Lumbalpunkion ansteht (Punktion des Nervenwassers im Bereich der Lendenwirbel, Abnahme von Proben, Gabe von Chemo in's Nervenwasser). Zwei davon hatte ich schon anfangs September und die habe ich ohne Probleme überstanden (ausser das ich danach noch Tage lang Kopfweh hatte, aber auch das war damals gar nicht so wahnsinnig schlimm). Mittlerweile sind aber viele schmerzvolle Wochen vergangen und wir mussten gestern die Behandlung abbrechen, weil ich die Schmerzen einfach nicht mehr ausgehalten habe. Ich habe geweint und am ganzen Körper gezittert. Wir haben das Prozedere heute dann nochmals wiederholt, allerdings unter Anästhesie. Und ganz ehrlich: Das verlang ich in Zukunft immer, ob's den Ärzten passt oder nicht, ich will einfach keine Schmerzen mehr haben! Aber noch schlimmer ist es, wenn es überhaupt nichts gegen die Schmerzen gibt. Vor zwei Wochen als ich im Spital war, spürte ich plötzlich ein unheimliches Stechen im Bauch. Grund waren Verstopfungen, ebenfalls eine nervige Chemo-Nebenwirkung. Das Blöde war nur, dass die meisten Schmerzmittel den Verdauungstrakt lähmen und daher kontraproduktiv sind. Das hiess für mich: Aushalten und zwar die ganze Nacht lang. Ich habe mich auf dem Bett gekrümmt, weil nicht mal mehr aufrecht gehen möglich war. Stundenlang gingen diese Höllenquallen, bis endlich die Erlösung auf dem Klo einsetzte. Das war eine wahre Wohltat :-). Aber nochmals zum Thema zurück: Viele von euch können sich diese Schmerz-Angst wahrscheinlich gar nicht vorstellen, viele denken, die soll jetzt nicht so ein Theater machen, aber es ist ja nicht der einzelne Schmerz an sich, sondern die Summe an Schmerzen in so kurzer Zeit, welche diese Empfindlichkeit auslösen. Und zurzeit ist es wirklich so, dass jeder Tag ohne Schmerz für mich ein absoluter Super-Tag ist.
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Samstag-Abend. Auf den Tag genau drei Monate nach der Diagnose. Ich stehe in einer Bar. Habe ein Bier in der Hand. Ich lache. Ich wippe mit der Musik. Ich lebe. Ein unglaubliches Gefühl. Ja das Leben muss gefeiert werden und gestern war's so weit. Ich habe mich den ganzen Tag richtig gut, fit und gesund gefühlt. Zuerst wurden wir von Fabian's Tante wunderbar bekocht, danach ging's weiter in die Stadt. Durch die dunklen Gassen ziehen und rein in's Getümmel. Wie früher. Gute Leute, gute Musik und ich wieder mittendrin. Es war nicht anders, ausser dass ich statt Haare eine Kappe trage, aber ganz ehrlich: Who cares? Es war ein ganz normaler Abend, der mit einem Bettmümpfeli im McDonald's geendet hat. Wie früher. Und heute Morgen? Da fühl ich mich super. Zufrieden. Glücklich, dass ich mein Leben zurück habe. Nur ein bisschen Kopfweh hab ich und Durst. Halt wie früher....:-) Hier noch ein Foto von gestern.... Unsere WG vereint und strahlend. Ein seltener Moment und ein Abend, an dem ich jede Sekunde genossen habe. Intensiv gelebt. Nicht so wie früher! Es ist ein bisschen ruhiger geworden um mich. Zum Glück. Zurzeit bin ich in der Konsolidationsphase (zweiter Teil der Chemo) und da muss ich nur alle zwei Wochen für ein paar Tage in's Spital, dazwischen bin ich zu Hause und es ist grossartig. Keine weissen Wände, keine Infusionen, kein fades Essen, kein Wecken in der Nacht, kein Desinfektionsgeruch. Ich geniesse jede einzelne Stunde. Und es kommt auch wieder ein bisschen Normalität auf: ich kann kochen, einkaufen, meine WG-Aufgaben machen, Freunde treffen, spazieren, leben.
Nur Arbeiten geht leider nicht, weil meine guten Tage sind einfach nicht planbar. Manchmal stehe ich morgens auf, habe ganz viel Energie, bin unterwegs und manchmal da verbringe ich den ganzen Tag waagrecht auf dem Sofa. Allgemein brauche ich immer wieder Zeitfenster, während denen ich mich ausruhen kann. Und dann kommen auch noch kleine Chemonebenwirkungen dazu, die auch Tage nach der Gabe noch auftreten: Kopfweh, Bauchschmerzen und eben die Müdigkeit. Ich hasse diesen Teil. Weil er verhindert den richtigen Alltag. Mein altes Leben. Aber - vielleicht muss ich mir ja einfach eingestehen, dass es doch auch schön ist, all die Zeit jetzt endlich mal zu haben. Mich nicht gleich wieder dem ganzen Job-Stress auszusetzen. Dem Alltäglichen, das eben auch nerven kann. Jetzt muss ich auch mal geniessen! Das Nichtstun. Das Rumhängen. Das Ausruhen. Der richtige Alltag kommt dann wieder früh genug, aber bis dann habe ich auch wieder die Energie dazu, dann wenn alles vorüber ist. Ich freu mich drauf, aber jetzt hat meine Gesundheit Vorrang. Ich habe übrigens auch schon eine Beschäftigung für meine neugewonnene Zeit: nämlich Nähen. Die Maschine dazu habe ich dieses Jahr von Fabian zum Geburtstag bekommen und jetzt wird sie endlich auch gebraucht. Wer hätte gedacht, dass aus mir mal ein tapferes Schneiderlein wird :-)... Nein, von mir gibt's heute kein Eiffelturm-Peace-Zeichen, kein #prayforParis und kein Rest in Peace-Statement auf Facebook. Klar, ich bin betroffen was letzte Nacht in Paris passiert ist. Es ist ganz schlimm. Ich bin aber auch jeden Tag betroffen, was sonst noch in der Welt so abgeht. Zum Beispiel gab's diese Woche auch in Beirut zwei IS-Anschläge, mehr als 40 Menschen starben - da hat auch keiner sein dummes Facebook-Profilbild geändert. Und wenn in Afrika jeden Tag Menschen verhungern oder im Meer auf der Flucht (weil sie unter anderem von diesem Arschloch-IS fliehen) ertrinken - wo sind dann die oberschlauen Statusupdates? Eben. Aber so funktioniert der Mensch nun mal. So funktionieren Medien. Je näher, desto schlimmer.
Und eigentlich hat der IS - aus seiner Sicht - alles richtig gemacht. Er bekommt jetzt wieder mal die Aufmerksamkeit, die er hier im Westen will. Dabei sind es nur dumme Fundamentalisten, die die Welt in Atem halten und eine ganze Religion in den Dreck ziehen. What the fuck, was ist hier eigentlich los? Solche Gedanken kreisen heute in meinem Kopf. Ich sitze im Spital rum, warte, habe elend viel Zeit, grüble und zücke immer mal wieder mein Smartphone, lese die Nachrichten, aber irgendwie mag ich nicht mehr. Irgendwie möchte ich mich heute einfach unter meiner eigenen Bettdecke verkriechen und warten bis auf Facebook wieder Katzenvideos gepostet werden. Denn das ist die Welt für die ich leben möchte. Für die ich ganz gesund werden will. Für das Schöne, das Lustige, das Tolle, das Farbige, die Abenteurer, die auf mich warten. Ich habe eigentlich gar keine Lust mir heute Gedanken über die schlechten Seiten der Welt zu machen und trotzdem kommen sie immer wieder, diese Grübeleien an letzte Nacht und an die ganze Scheisse die sonst noch jeden Tag passiert. Dabei will ich positiv denken, egoistisch sein, hoffen, dass es mit mir bald wieder aufwärts geht. Nichts an mich ranlassen. Zuerst ich, dann die andern. Denn das täte mir wirklich gut. Nur frag ich mich dann: Darf ich das in dem Moment überhaupt? Es wächst und spriesst auf der Oberlippe. Es ist Movember (Moustache im November). Im Monat November machen ganz viele Männer (und dank technischer Hilfsmittel auch Frauen) mit einem anständigen Schnauz aufmerksam auf Prostatakrebs, Hodenkrebs und andere Gesundheitsprobleme von Männern. Aber nicht nur das, es soll natürlich auch Geld für Forschungsprogramme gesammelt werden! Zum Thema Männergesundheit findet heute in St. Gallen eine öffentliche Podiumsdiskussion statt. Hier findet ihr alle Infos. Mit dabei sind auch Fachärzte des Kantonsspitals St. Gallen, weshalb ich gerne ein bisschen Werbung dafür mache und weil ich genau weiss, wie schnell der dumme Krebs zuschlagen kann. Egal welcher Art. Hier übrigens noch die Seite der Movember Foundation Schweiz! Die letzten paar Tage waren wie das Wetter: ruhig und schön! Heute ging's aber wieder los mit Spital-Alltag und das so richtig mitten in die Fresse rein. Morgens um halb zehn musste ich antraben, danach habe ich mal wieder eine Stunde gewartet bis endlich etwas passiert ist. Business as usual - hab ja sonst nichts Besseres zu tun. Danach wurde wie jeden Tag mein Blut getestet und heute waren die Werte so richtig schlecht. Ich habe von allem zu wenig. Zu wenig weisse Blutkörperchen (für die Abwehr zuständig). Zu wenig rote Blutkörperchen (für den Sauerstofftransport verantwortlich). Zu wenig Blutplättchen (wichtig für die Blutgerinnung). Das hiess für mich: heute keine Chemo. Zu gefährlich. Und ich hab's natürlich gleich mit der Angst zu tun bekommen. Wieso sind die Werte so tief? Ist etwa die Leukämie zurück? Zum Glück nicht. Die Chemo wirkt halt einfach nach und das obwohl die letzte Gabe elf Tage her ist. Harter Stoff, den sie mir da reinjassen! Mein Arzt meinte aber, dass ich auf Kurs sei und die Werte bis morgen steigen, so kann dann auch die neue Chemo gegeben werden. Trotzdem bleibt die Angst, dass die Leukämie zurück kommt!
Tja und als wär das noch nicht genug Tohuwabohu gewesen, wurde mir heute auch noch eine sogenannte Picc-Line gelegt. Das ist ein Katheter-System für die Infusion, ebenfalls kann man dadurch Blut entnehmen. Ich habe jetzt also in meinem Oberarm einen Schlauch mit zwei Zugängen, welcher über meine Armvene in die Nähe des Herzens führt. Das Tolle an der Sache: die Picc-Line kann man über Monate tragen und ich muss nicht jedes Mal gestochen werden. Ich kann damit sogar Sport machen. Das Implantieren war aber nicht so toll. Weil ich eine der Ersten war, die diese Picc-Line am Kantonsspital bekommen hat, hatten auch die Ärzte null Erfahrung mit dem Ding. Rosie das Versuchskaninchen. Die ersten zwei Versuche waren unheimlich schmerzhaft und gingen schief. Beim dritten Versuch habe ich eine Vollnarkose verlangt nach dem Motto: keine Drogen, keine Picc-Line und siehe da, meine Venen waren entspannt und alles hat geklappt. Voilà. Trotzdem, ein harter Spitaltag für mich. Viele Leute, viele Schmerzen, viel Stress. Dafür hab ich jetzt so einen tollen Ausweis bekommen für meine Picc-Line, falls mir ausserhalb des Spitals mal was passieren sollte. Sieht irgendwie aus wie die Membercard eines Superhelden-Clubs.... Vom Rauchen bekommt man Lungenkrebs, von zu viel Sonne gibt's Hautkrebs und Blutkrebs? Bei der Leukämie ist es leider nicht so einfach. Bis jetzt hat die Wissenschaft noch nicht rausgefunden, warum jemand Leukämie bekommt. Es gibt einige Theorien, bewiesen ist jedoch nichts so richtig. Vielleicht sind es ja die Würste. Wir ihr sicher mitbekommen habt, sind die gemäss WHO schwerst krebserregend. Na und? Hab ich gedacht, als ich das gelesen habe. Was ist heutzutage schon nicht krebserregend? Irgendwie so ziemlich alles hat man das Gefühl, wenn man nur ein bisschen im Internet recherchiert: Kartoffelchips, Meeresfrüchte, Schwarztee, Reis usw. dürfte man alles nicht mehr essen. Und dazu bitte nicht rauchen, trinken, an der Sonne sitzen, sich Stress aussetzen oder anders gesagt: am besten nicht leben, denn es ist unheimlich gefährlich. Leben ist tödlich! Ich habe jetzt halt Leukämie bekommen, ein anderer wird vor der Haustüre vom Auto angefahren. Bitter zu sagen, aber so ist es nun mal, da können wir in den wenigsten Fällen etwas dran ändern. Aber was wir können ist akzeptieren, kämpfen und weiterleben bis - ja es dann irgendwann doch vorüber ist. Aber dazwischen, da will ich was davon. Ich will gut essen, mal einen über den Durst trinken, mir im Sommer die Sonne auf die Haut scheinen lassen, im kalten Regen tanzen, ab und zu ein Risiko eingehen, in unbekannte Länder reisen, Abenteuer erleben. Und tief in mir drin weiss ich, dass diese Abenteuer immer noch auf mich warten. Leukämie nimmt mir nur ein paar Monate, aber eben nicht das Leben. Diesen Job übernimmt dann irgendwann mal ein anderer Schicksalsschlag. Später. Zum Schluss möchte ich euch noch von Viktor Östlund berichten. Er ist ein junger Eishockey-Spieler aus Schweden, zurzeit spielt er beim HC Lugano. Ich habe seine Geschichte diese Woche gelesen und sie hat mich extrem beeindruckt und mir Mut gemacht. Die Leukämie konnte ihm das Leben auch nicht nehmen! HIER könnt ihr den Online-Artikel nachlesen. Bildquelle: Der Spiegel, Nr. 45/31.10.2015 |
AutorRosie. 30 Jahre. Mitten im Leben. Diagnose: Leukämie. Archives
January 2020
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