Ein negatives Gefühl. Ein dummes Gefühl. Ein Gefühl, das einen nur noch weiter runterzieht, aber unvermeidbar ist. Selbstmitleid. Jeder, der schon mal in einer Phase war, in der es nicht so gut lief, kennt das Beissen in der Brust. Man liegt im Bett, heult rum, grübelt rum und entwickelt manchmal sogar eine Art Hass auf die Gesunden. Wieso ich? Wieso nicht die Anderen? Man kann irgendwie nichts dagegen tun.
Doch kann man! Und zwar im Kopf eine Postiv-Negativ-Liste aufstellen. Auf der Negativ-Seite ist klar was steht: Dumme, heimtückische Krankheit, die mich aus dem Leben gerissen hat und scheisse ist. Auf der Positiv-Seite, da steht mehr als gedacht: Zum Beispiel, das Glück in der Schweiz geboren zu sein. In einem Land, das die beste medizinische Versorgung hat. In einem Land, in dem Leukämie kein Todesurteil ist. In einem Land, in dem Koryphäen von Ärzten an meiner Seite stehen und ich mir keine Sorgen machen muss, dass ein Medikament nicht da oder ein Untersuchungsgerät nicht verfügbar ist. Stellt euch vor, in Ländern der dritten Welt wird Leukämie oft nicht mal festgestellt, weil eine Blutuntersuchung gar nicht möglich ist. Man stirbt dann nach einigen Wochen einfach so dahin und keiner weiss warum. Dazu kommt nicht nur die Rettung meines Lebens an sich, sondern auch die meiner Existenz. Ich muss mir hier in der Schweiz null Sorgen darum machen, die Krankenkasse zahlt die Behandlung und mein Arbeitgeber weiterhin meinen Lohn. Wenn ich wieder gesund bin, kann ich mein Leben genau gleich weiterleben. Meine Träume verwirklichen. Einfach so. Es ist unglaublich. Abgesehen von meiner Krankheit, geht es mir eigentlich richtig gut! Etwas, das da im krassen Gegensatz dazu steht und mich jeden Tag wieder auf's Neue traurig macht, ist die momentane Flüchtlingskrise. Da stehen Menschen vor Europa's Grenzen, mit nichts weiter als ihrem nackten Leben. Viele davon sind traumatisiert oder körperlich krank. Und bei uns gibt es tatsächlich immer noch Leute, die sagen: Geht mich doch nichts an! So en huere Seich!!! Und wie uns das was angeht! Das sind Menschen. Menschen, die auf irgend eine Art Hilfe brauchen. So wie ich Hilfe brauche, jeden Tag. Wieso habe ich Hilfe mehr verdient als ein Flüchtling aus Syrien? Die Antwort könnt ihr euch selber geben. Wenn ich mir solche Gedanken mache, dann verfliegt der Selbstmitleid meistens von alleine und es macht sich eine unendliche Dankbarkeit breit. Ja, ich bin krank, aber sobald ich wieder raus aus dem Spital und einigermassen fit bin, werde ich Hilfe weitergeben. Und zwar mit der gleichen Selbstverständlichkeit, wie mir geholfen wurde.
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AutorRosie. 30 Jahre. Mitten im Leben. Diagnose: Leukämie. Archives
January 2020
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